Cholin ist während des gesamten Lebens für eine gute Gesundheit unerlässlich. Diese Bedeutung wurde jedoch lange Zeit nicht richtig erkannt. Bereits in der pränatalen Phase und in den ersten Lebensjahren wird viel Cholin benötigt. Cholin ist für das Wachstum und die Entwicklung von Kindern sehr wichtig. Eine zu geringe Versorgung mit Cholin in dieser frühen Lebensphase kann weitreichende Langzeitfolgen für die Gesundheit haben. Cholin spielt eine äußerst wichtige Rolle für die Entwicklung des Gehirns. Cholin ist auch an der Programmierung der DNA auf epigenetischer Ebene beteiligt: Ohne die eigentliche DNA-Struktur zu verändern, können bestimmte Gene ein- oder ausgeschaltet werden. Über diese Programmierung beeinflusst Cholin das Risiko für chronische Krankheiten im späteren Leben. Ein unzureichender Cholinstatus bei Erwachsenen führt zu einer Störung des Fettstoffwechsels in der Leber, zur Förderung der Insulinresistenz, zu DNA-Schäden und Zelltod, zur Veränderung der Genexpression*, zum Anstieg des Homocysteinspiegels im Blut, zu einer (nichtalkoholischen) Fettleber*, zum Muskelabbau und zu einer schlechten Gehirnfunktion.
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Cholin, eine Vitamin-B-ähnliche Substanz, ist ein essentieller Nährstoff, obwohl der Körper es in geringen Mengen selbst in der Leber herstellen kann. Reichhaltige Cholin-Quellen sind Eier, Fleisch, Geflügel, Leber, Fisch, Soja und Weizenkeime, während Getreide, Hülsenfrüchte, Nüsse, Obst, Gemüse und Milchprodukte kleinere Mengen enthalten. Die Cholinaufnahme kann durch eine Nahrungsergänzung in Form von Cholinbitartrat, Cholinchlorid oder Phosphatidylcholin erhöht werden.
Bisher war es nicht möglich, die Höhe des Cholinbedarfs und damit die RDA (empfohlene Tagesdosis) zu bestimmen. Daher wird die adäquate Tagesdosis AI (Adequate Intake) verwendet, die auf der Menge an Cholin basiert, die benötigt wird, um Leberschäden durch eine Unterversorgung bei gesunden Erwachsenen zu verhindern. Im Jahr 2016 hat die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) die AI für Cholin erstmals auf 400 mg/Tag für Erwachsene und Jugendliche, 140-230 mg/Tag für Kinder, 160 mg/Tag für Säuglinge ab 7 Monaten, 480 mg/Tag für Schwangere und 520 mg/Tag für stillende Frauen festgelegt.
Wie die Forschung zeigt, kann der Cholinbedarf von Mensch zu Mensch sehr verschieden sein. Der Cholinbedarf hängt unter anderem vom Östrogenspiegel und der Aufnahme von Methionin, Folsäure, Vitamin B12 und Betain ab. Darüber hinaus gibt es Menschen mit genetischen Polymorphismen* in Bezug auf Enzyme, die am Stoffwechsel von Cholin und Folat beteiligt sind, wodurch ihr Cholinbedarf höher ist.
Die Cholinaufnahme variiert stark und liegt oft unter der AI. Risikogruppen für einen (schweren) Mangel sind Vegetarier, Veganer und schwangere oder stillende Frauen. Die sichere Obergrenze wurde auf 3500 mg Cholin pro Tag für Erwachsene, 3000 mg/Tag für Kinder im Alter von 14-18 Jahren, 2000 mg/Tag für 9- bis 13-Jährige und 1000 mg/Tag für Kinder im Alter von 1-8 Jahren festgelegt.
Cholin wird für die Synthese einer Reihe wichtiger Substanzen mit unterschiedlichen Funktionen im Körper benötigt. In der Leber und den Nieren kann Cholin zu Betain, einem wichtigen Methyldonor, umgesetzt werden. Betain ist außerdem an der Regulation des osmotischen Wertes* von Flüssigkeiten beteiligt, um die Homöostase aufrechtzuerhalten, und hat entzündungshemmende Eigenschaften. Als Methyldonor (re)methyliert es in der Leber Homocystein zu Methionin (siehe Abbildung 1a). Folat tut dasselbe, und normalerweise recyceln beide Reaktionswege etwa die gleiche Menge Homocystein. Bei einem Folatmangel (oder einer erschwerten Umwandlung von Folat in seine aktive Form 5-Methyltetrahydrofolat oder einem Mangel an Vitamin B12) ist der Cholinbedarf erhöht, da für die (Re-)Methylierung von Homocystein mehr Cholin in Betain umgesetzt wird. Ein Anstieg des Homocysteinspiegels wird u. a. mit einem erhöhten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Neuralrohrdefekte, Osteoporose, Krebs, kognitiven Leistungsabfall und Demenz in Verbindung gebracht.
Ein Großteil des Cholins aus der Nahrung wird für die Synthese von Phospholipiden (Phosphatidylcholin, Sphingomyelin, siehe Abbildung 1b) verwendet. Phosphatidylcholin ist der Hauptbaustein der Zellmembranen und am Fettstoffwechsel, dem Transport von Fetten und Cholesterin und der Ausscheidung von Cholesterin mit der Galle beteiligt. Sphingomyelin bildet die Myelinscheide* um Nervenzellfortsätze und sorgt für eine effiziente Übertragung von Nervenimpulsen. Cholin ist auch Bestandteil des Phospholipids PAF (Plättchenaktivierender Faktor), das unter anderem für die Blutgerinnung und Wundheilung, die Einnistung der befruchteten Eizelle, die Entwicklung des Fötus und die Einleitung der Wehen wichtig ist.
Abbildung 1: Homocystein-Metabolismus. (a) Homocystein wird zu Methionin (re)methyliert und erhält die Methylgruppe von 5-MTHF (5-Methyltetrahydrofolat) oder Betain. Homocystein kann auch in Cystein umgewandelt werden. (b) Cholin wird für die Synthese von Phospholipiden benötigt.
Cholin ist zudem auch ein Baustein des Neurotransmitters* Acetylcholin. Dieser Neurotransmitter hat zahlreiche Funktionen im zentralen und peripheren Nervensystem. Acetylcholin sorgt unter anderem für die Reizübertragung von den motorischen Nerven auf die Skelettmuskeln. Darüber hinaus ist Acetylcholin ein wichtiger Neurotransmitter im autonomen Nervensystem, das unbewusste Prozesse wie Atmung, Herzschlag, Blutdruck, (Energie-)Stoffwechsel, Immunsystem und Verdauung reguliert. Acetylcholin spielt eine Rolle bei Aufmerksamkeit, Lernen und Gedächtnis und ist wichtig für kognitive Funktionen, Stimmung und biologische Rhythmen.
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Schwangerschaft
Schwangere oder stillende Frauen sollten ausreichend Cholin zu sich nehmen. Die Transportsysteme in der Plazenta und den Brustdrüsen entziehen der Mutter viel Cholin. Der Cholingehalt ist beim Kind 6–10-mal höher als bei der Mutter. Cholin ist wichtig für die Funktion der Plazenta, über die der Fötus Sauerstoff und Nährstoffe von der Mutter erhält. Eine niedrige Cholinzufuhr während der Schwangerschaft ist mit einem höheren Risiko für angeborene Anomalien wie Spina bifida, Hasenscharte oder Herzfehler verbunden. Ein erhöhter Homocysteinspiegel bei der Mutter während der Schwangerschaft erhöht das Risiko einer Schwangerschaftsvergiftung (Präeklampsie), einer Wachstumsverzögerung des Fötus, wiederholter Fehlgeburten, Früh- oder Totgeburten und einer Plazentaruptur.
Es gibt viele wissenschaftliche Belege dafür, dass eine ausreichende Cholinversorgung in der prä- und postnatalen Phase stark zur optimalen Entwicklung des Gehirns beiträgt. In einer Beobachtungsstudie schnitten 7-jährige Kinder von Müttern mit hoher Cholinzufuhr während des dritten Trimesters der Schwangerschaft in den Bereichen Aufmerksamkeit, Gedächtnis und Problemlösungsfähigkeiten signifikant besser ab als Kinder von Müttern mit geringer Cholinzufuhr (etwa 50 % der AI).
Cholin beeinflusst über Betain die Methylierung von DNA und Histonen*, ein wichtiger Prozess, der die Genexpression* reguliert (auch als Epigenetik bezeichnet). Durch diese (anhaltende) epigenetische Programmierung beeinflusst Cholin das Risiko für chronische Krankheiten im späteren Leben wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, metabolisches Syndrom und Typ-2-Diabetes.
Übergewicht und Insulinresistenz
Es besteht ein Zusammenhang zwischen der Cholinaufnahme über die Nahrung und dem Körpergewicht und Fettanteil. Die Supplementierung mit Cholin ist mit einer Abnahme des BMI, des Körperfetts und des Leptinspiegels verbunden. Es wurde eine umgekehrte Korrelation zwischen der Cholinaufnahme über die Nahrung und dem Nüchternblutzucker- und Insulinspiegel sowie dem Grad der Insulinresistenz nachgewiesen.
Homocysteinspiegel
Niedrige Homocysteinwerte sind wichtig für die kardiovaskuläre Leistungsfähigkeit und die Knochenqualität. Eine ausreichende Zufuhr von Cholin führt zu genügend Betain für die (Re‑)Methylierung von Homocystein zu Methionin. Zwischen der Cholinaufnahme über die Nahrung und der Knochenmineraldichte besteht ein positiver Zusammenhang.
Nichtalkoholische Fettleber
Die Leber ist ein wichtiges Organ für den Stoffwechsel und die Speicherung von Cholin. Cholin spielt eine Rolle im Fettstoffwechsel, und ein Cholinmangel kann zu einer nichtalkoholischen Fettleber* und Leberfunktionsstörungen führen, auch bei Kindern. Menschen mit genetischen Polymorphismen* für den Cholinstoffwechsel sind hier am meisten gefährdet.
Asthma und Heuschnupfen
Asthmapatienten können profitieren, wenn sie zusätzlich zu ihren Asthma-Medikamenten Cholin einnehmen. Eine zusätzliche Supplementierung mit Cholin (zweimal täglich 1500 mg) kann zu einem Rückgang der Asthmabeschwerden und der bronchialen Hyperreaktivität sowie zu einem geringeren Medikamentengebrauch führen. Eine Cholin-Supplementierung (dreimal täglich 500 mg) kann auch die Heuschnupfensymptome lindern.
Mukoviszidose
Mukoviszidose (zystische Fibrose) ist eine schwere angeborene Erkrankung, bei der die Schleimhäute zähen, klebrigen Schleim absondern. Die Ansammlung dieses Schleims führt zu Stauungen in Organen wie Lunge, Leber, Gallenwegen, Bauchspeicheldrüse und Darm und zu Funktionseinbußen dieser Organe. Bei der Mukoviszidose ist der Cholinbedarf aufgrund einer verschlechterten Wiederaufnahme von Cholin über den enterohepatischen Kreislauf* und einer vermehrten Ausscheidung über die Fäzes erhöht. Die Normalisierung des Cholinstatus kann bei Menschen mit Mukoviszidose zu einer Verbesserung der Lungenfunktion und einer Abnahme der Fettleber führen. Zur Cholin-Supplementierung bei dieser schwerwiegenden Erkrankung sind weitere Untersuchungen erforderlich.
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Bei einer täglichen Zufuhr von 400 mg Cholin über Nahrungsergänzungsmittel wird zusammen mit dem Cholin aus der Nahrung ein guter Cholinstatus erreicht. Bei Personen mit einer Allergie oder Überempfindlichkeit gegenüber Cholin, Lecithin oder Phosphatidylcholin ist eine Ergänzung mit Cholin kontraindiziert. Eine hohe Dosis Cholin kann den Blutdruck und/oder den Blutzuckerspiegel senken und die Wirkung von Lithium bei einer bipolaren Störung verstärken. Cholin und DHA (Docosahexaensäure) haben synergistische Auswirkungen auf die Gehirnfunktion von Fötus und Kleinkind. Cholin und Folat haben eine synergistische Wirkung auf den Homocystein-Stoffwechsel. Methotrexat erhöht den Cholinbedarf. Cholinmangel beeinträchtigt die Aktivität von Leberenzymen, die an der Umwandlung und dem Abbau von Arzneistoffen beteiligt sind. Eine ausreichende Cholinzufuhr bei der Einnahme von Medikamenten ist daher wichtig.
Weitere Informationen zu den Anwendungen und wissenschaftlichen Hintergründen von Cholin finden Sie in dem ausführlichen Übersichtsartikel ‘Cholin, Bedeutung für die Gesundheit wird oft übersehen’.
Beobachtungsstudie - Studie in einer bestimmten Population, in der eine mögliche Beziehung zwischen zwei Variablen untersucht wird, ohne dass eine Intervention stattfindet.
Enterohepatischer Kreislauf - Darm-Leber-Kreislauf zur Wiederverwendung von Gallensalzen. Gallensalze werden, nachdem sie über die Galle in den Darm ausgeschieden wurden, aus dem Darm wieder resorbiert und zur Leber zurückgeführt.
Genexpression - der Prozess, bei dem die Information in einem Gen in ein Protein übersetzt wird, wenn das Gen abgelesen wird.
Histone - Proteine, um die die DNA gewickelt ist.
Myelinscheide- ein weißes fettartiges Gewebe, das die Nerven des peripheren Nervensystems umhüllt. Es sorgt für Isolierung, Schutz und eine gute Reizübertragung der Nerven.
Neurotransmitter - Signalsubstanz im Gehirn und in den Nerven, die für die Kommunikation zwischen Nervenzellen sorgt.
Nichtalkoholische Fettleber - chronische Erkrankung, bei der sich Fette in den Leberzellen ansammeln und die nicht mit dem Alkoholkonsum zusammenhängt.
Osmotischer Wert - die Konzentration von gelösten Stoffen in einer bestimmten Flüssigkeit, z. B. Blut. Bei höherer Konzentration neigt die Flüssigkeit dazu, Wasser aus einem anderen Kompartiment anzuziehen.
Phospholipide- phosphathaltige fettartige Stoffe, die in allen lebenden Zellen vorkommen.
Polymorphismus - eine genetische Variation eines bestimmten Gens, die relativ häufig vorkommt (bei über 1 %). Das durch den Polymorphismus veränderte Gen produziert oft Enzyme mit geringerer biologischer Aktivität.