Vitamin B12 ist ein essentieller Nährstoff, der unter anderem bei der DNA-Synthese, zellulären Reparaturprozessen, der Blutbildung und Hirnfunktion eine bedeutende Rolle spielt. Ein abgesenkter Vitamin-B12-Status kann viele verschiedene Gesundheitsbeschwerden verursachen. Prävention, frühes Erkennen und Behandeln eines Vitamin-B12-Mangels sind äußerst wichtig, auch um irreversible neurologische Schädigungen und ein Knochenmarksversagen zu verhindern.(1) Leider bleibt der Vitamin-B12-Mangel in vielen Fällen unerkannt: In 60-70 % der Fälle ist er asymptomatisch, oft werden auftretende Symptome nicht erkannt und es gibt keinen Goldstandard für die Bestimmung des Vitamin-B12-Status. Vitamin B12 hat wahrscheinlich mehr Funktionen, als wir derzeit wissen, und die derzeitige RDA (Recommended Daily Allowance) ist wahrscheinlich zu niedrig, um den Bedarf an Vitamin B12 zu decken.(2) Etwa 5-10 % der westeuropäischen Bevölkerung leiden an Vitamin-B12-Mangel, bei der Gruppe der Älteren kann dieser Prozentanteil bis auf 20-30 % ansteigen.(3-5)
Das wasserlösliche Vitamin B12 besteht aus einer Reihe von Cobalaminen, komplex aufgebauten Molekülen mit einem Kobaltatom im Zentrum. Vitamin B12 kommt in verschiedenen Formen vor, je nachdem welche Restgruppe an das zentrale Kobaltatom gebunden ist: Methyl-, Adenosyl-, Hydroxy- und Cyanocobalamin (siehe Abbildung 1). Cobalamin (ohne Restgruppe) kommt als solches nicht in stabiler Form vor. Wenn von Vitamin B12 oder Cobalamin die Rede ist, ist immer eine der oben genannten Formen gemeint. Vitamin B12 ist in geringen Mengen in tierischen Lebensmitteln (Fleisch, Fisch, Schalentiere, Geflügel, Milchprodukte und Eier) enthalten, hauptsächlich in Form von Methyl-, Adenosyl- und Hydroxycobalamin. Cyanocobalamin ist eine synthetische Form, die viel in Nahrungsergänzungsmitteln und angereicherten Lebensmitteln eingesetzt wird. Heutzutage sind die biologisch aktiven Formen von Vitamin B12 (Methyl- und Adenosylcobalamin) ebenfalls als Nahrungsergänzungsmittel erhältlich, häufig in Form von Lutschtabletten.
Abbildung 1: Strukturformel von Vitamin B12
Co+ = Kobaltatom
R = Restgruppe
Im Körper kommt Vitamin B12 hauptsächlich in den aktiven Coenzymformen Methylcobalamin (Blutplasma, Zellzytoplasma, Liquor) und Adenosylcobalamin, auch Dibencozid genannt (Gewebe, Zellmitochondrien) vor. Im Blut sind 20-25 % des Vitamin B12 an das Transportprotein Transcobalamin II und 80 % an Haptocorrine* (auch Transcobalamin I genannt) gebunden. Nur das an Transcobalamin II gebundene Vitamin B12 wird von den Körperzellen aufgenommen (siehe Abbildung 2). Diese im Serum befindliche Fraktion von Vitamin B12 wird als aktives B12 oder Holo-TC (Holo-Transcobalamin II) bezeichnet. Das in die Zelle aufgenommene Vitamin B12 wird in den Lysosomen von Transcobalamin II abgespalten und erforderlichenfalls in Methyl- oder Adenosylcobalamin umgewandelt.(7) B12, das bereits als Methyl- oder Adenosylcobalamin in die Zelle gelangt, muss nicht weiter umgewandelt werden, es sei denn, in der Zelle wird zu diesem Zeitpunkt ein anderes Verhältnis von Methyl- zu Adenosylcobalamin benötigt.
Abbildung 2: Die Rolle von Vitamin B12 im Homocystein- und Methylmalonsäure-Stoffwechsel
Der Körper verfügt über einen Vitamin-B12-Vorrat von etwa 2-5 mg, von dem der größte Teil in der Leber gespeichert ist. Täglich werden 0,1-0,2 % der gesamten B12-Reserven des Körpers über den Urin und die Galle ausgeschieden. Normalerweise geht der Vorrat nur langsam zurück, was zum Teil auf den enterohepatischen Kreislauf (Rückresorption von Vitamin B12 aus der Galle) zurückzuführen ist.(6) Ein Vitamin-B12-Mangel, der bei unzureichender Versorgung (unzureichende Zufuhr oder Absorption) und/oder erhöhtem Verlust (oxidativer Stress, gestörter enterohepatischer Kreislauf) auftreten kann, entwickelt sich in der Regel schleichend über einen Zeitraum von Jahren.(7)
In Studien mit Vitamin B12 wurden hauptsächlich Cyano- und Hydroxycobalamin und in geringerem Maße auch Methylcobalamin und Adenosylcobalamin eingesetzt. In den letzten Jahren hat sich dies geändert und es werden zunehmend Methylcobalamin und Adenosylcobalamin verwendet. Ein Vorteil der Supplementierung mit Methyl- und/oder Adenosylcobalamin ist, dass der Körper sofort über die biologisch aktiven (Coenzym-)Formen von Vitamin B12 verfügt.(53) Da oxidativer Stress bei funktionellem Vitamin-B12-Mangel eine Rolle spielen kann, könnte eine Supplementierung mit einer reduzierten Form von Vitamin B12 (Methylcobalamin) Vorteile gegenüber einer oxidierten Form von Vitamin B12 (Cyanocobalamin, Hydroxycobalamin) haben.(38) Untersuchungen legen nahe, dass sich der Cobalamin-Status nach Einnahme von Methyl- und Adenosylcobalamin stärker verbessert als nach Einnahme von Cyanocobalamin: Es wird mehr Cobalamin in der Leber gespeichert und weniger Cobalamin mit dem Urin aus dem Körper ausgeschieden (längere Halbwertszeit).(53) Außerdem kann Methylcobalamin im Körper sofort als Methyldonor verwendet werden. Es gibt Hinweise darauf, dass die Supplementierung mit Methyl- und/oder Adenosylcobalamin bessere klinische Ergebnisse liefert als die Supplementierung mit Cyano- und/oder Hydroxycobalamin. Um dies endgültig zu bestätigen, sind weitere Untersuchungen erforderlich.(53)
Im Allgemeinen wird Vitamin B12 aus Nahrungsergänzungsmitteln leichter aufgenommen als aus der Nahrung, da die Freisetzung von nahrungsgebundenem Vitamin B12 gestört sein kann (siehe Aufnahme, Speicherung und Ausscheidung von Vitamin B12).
Vitamin B12 ist ein unabdingbarer Co-Faktor bei zwei wichtigen enzymatischen Reaktionen (siehe Abbildung 2):
* Siehe Erläuterung der Begriffe
Die Aufnahme von Vitamin B12 aus der Nahrung ist ein komplexer Prozess (siehe Abbildung 3). Im Magen wird Vitamin B12 durch Magensäure und Pepsin von Nahrungsproteinen abgespalten und vorübergehend an Haptocorrine (R-Binder-Proteine) gebunden, die aus dem Speichel und Schleim der Speiseröhre und des Magens stammen. Im Zwölffingerdarm (alkalisches Milieu) lösen Pankreasproteasen das Vitamin B12 von den R-Binder-Proteinen ab, woraufhin das Vitamin an den 'Intrinsic Factor' (IF) gebunden wird, ein Glykoprotein, das von den Parietalzellen im Magen produziert wird. Anschließend wird Vitamin B12 im letzten Teil des Ileums nach der Bindung an spezifische Rezeptoren durch aktiven Transport aufgenommen (kalziumabhängige Endozytose), sofern das Vitamin an IF gebunden ist.(6) Die aktive Absorption von Cobalamin aus der Nahrung ist sehr effizient, aber aufgrund der Absättigung der Rezeptoren nimmt die Absorptionsrate schnell ab, wenn die Vitamin-B12-Zufuhr erhöht wird. Von wenigen Mikrogramm (μg) Vitamin B12 werden 25-65 % absorbiert, von 25 μg nur 5 %.(6,7) In der Darmschleimhaut wird der IF abgespalten und Vitamin B12 wird an das Blut abgegeben. Nicht IF-gebundenes Vitamin B12 kann durch passive Diffusion (über die gesamte Länge des Magen-Darm-Trakts) aufgenommen werden, aber diese Form der Aufnahme ist sehr ineffizient. In Abwesenheit von IF wird Vitamin B12 nur zu 1 % aufgenommen (dies gilt auch für Vitamin B12, das von Bakterien im Dickdarm produziert wird).(6,8) Außerdem wird Vitamin B12, das nicht an IF gebunden ist, von proteolytischen Enzymen und Darmbakterien schneller abgebaut. Das bedeutet, dass bei Malabsorption (gestörte aktive Absorption) hohe Dosen von Vitamin B12 supplementiert werden sollten.
Abbildung 3: Absorption von Vitamin B12
Die deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) schätzt den Vitamin-B12-Bedarf für Erwachsene auf 4,0 μg/Tag (Schwangerschaft 4,5 μg/Tag, Stillzeit 5,5 μg/Tag).(6,7) Dies basiert jedoch auf einer normalen Blutbildung (wohingegen eine beeinträchtigte Blutbildung oft ein spätes Symptom eines B12-Mangels ist) und einem normalen Vitamin-B12-Serumspiegel (ein unzuverlässiger Biomarker für den Vitamin-B12-Status). Die Normalwerte für Vitamin B12 im Blut liegen bei 150-500 pmol/l oder 200-700 ng/l, aber leider schließt ein 'normaler' Vitamin-B12-Spiegel einen Vitamin-B12-Mangel nicht aus (siehe den Abschnitt Feststellen eines biochemischen Vitamin-B12-Mangels).
Der Bedarf an Vitamin B12 ist wahrscheinlich höher als von der DGE berechnet. Zum Beispiel ist die derzeitige RDA für Vitamin B12 nicht ausreichend, um die Stabilität des Genoms zu gewährleisten*.(2,15,16) Die Bildung von Mikronuclei* in Lymphozyten, ein Index für Chromosomenbrüche und Chromosomenverlust, ist nur bei einer Vitamin-B12-Zufuhr von etwa 7 μg/Tag minimal.(2,15) Außerdem ist der MMA-Spiegel (ein funktioneller Biomarker für den Vitamin-B12-Status) bei Menschen mit einer Vitamin-B12-Zufuhr von weniger als 6 μg/Tag erhöht, was auf einen Mangel an (Methyl-/Adenosyl-)Cobalamin im Gewebe hinweist (funktioneller B12-Mangel).(16,17) Vermutlich steigt der Bedarf an Vitamin B12 mit zunehmendem Alter leicht an, was zum Teil auf die Zunahme von oxidativem Stress zurückzuführen sein könnte.(2,6) Es gibt Hinweise darauf, dass der Vitamin-B12-Bedarf gesunder Erwachsener und Älterer variiert und bis auf über 20 µg pro Tag ansteigen kann.(85)
Während der Schwangerschaft und Stillzeit ist der Vitamin-B12-Bedarf um 10 bzw. 20-30 % erhöht. Untersuchungen haben gezeigt, dass ein Drittel der schwangeren Frauen erhöhte MMA-Werte haben, was auf einen Vitamin-B12-Mangel hindeutet, und dass ein erhöhter MMA-Wert unter anderem einen Risikofaktor für Neuralrohrdefekte (wie Spina bifida) darstellt.(7,12)
* Siehe Erläuterung der Begriffe
Bis zu 1 % der oralen Dosis von Vitamin B12 wird durch passive Diffusion aufgenommen, d. h. auch bei Malabsorption aufgrund eines Fehlens des Intrinsischen Faktors (IF). Der normale Vitamin-B12-Bedarf kann bis zu 20 μg/Tag betragen; bei Malabsorption ist eine Vitamin-B12-Dosis (je nach Schwere der Malabsorption) zwischen 650 und 2000 μg/Tag erforderlich.(64,85) Die orale Supplementierung mit Vitamin B12 in Dosen von 1000 bis 2000 µg/Tag ist ebenso wirksam wie intramuskuläre Injektionen, auch bei Malabsorption von Vitamin B12.(1,64) Nur bei schweren neurologischen Manifestationen wird zunächst die intramuskuläre Verabreichung bevorzugt (etwas schnellere Wiederauffüllung).(64) Bei einer Vitamin-B12-Supplementierung können sich die neurologischen Symptome vorübergehend verschlechtern.(1) Bei wirksamer Supplementierung wird die makrozytäre Anämie innerhalb von zwei Monaten korrigiert und die neurologischen Symptome verschwinden oder verbessern sich innerhalb von sechs Monaten.(1) Eine hochdosierte Vitamin-B12-Ergänzung (1000-2000 μg) wird vorzugsweise getrennt von den Mahlzeiten eingenommen (die Absorption ist dann etwas besser), aber das ist nicht notwendig.(1,7) Wenn ein Vitamin-B12-Mangel diagnostiziert wurde, ist es wichtig, die zugrunde liegende Ursache zu ermitteln. Lässt sich die Ursache des Mangels nicht beseitigen, ist eine lebenslange Vitamin-B12-Supplementierung erforderlich.(1,3)
Ein Vitamin-B12-Mangel kommt wahrscheinlich häufiger vor als man denkt.(4) Da die Beschwerden oft lange Zeit ausbleiben (selbst bei einem biochemisch schweren B12-Mangel) und das klinische Bild sehr vielfältig und manchmal ungewöhnlich ist, wird ein Vitamin-B12-Mangel leicht übersehen.(1,18-20) Das kennzeichnendste Merkmal eines Vitamin-B12-Mangels ist das Auftreten einer megaloblastischen Anämie und/oder einer demyelinisierenden Erkrankung (Verlust und Anschwellen der Myelinscheide um die Ausläufer (Axone) der Nervenzellen mit axonaler Degeneration und Verlust von Neuronen).(1) Demyelinisierende Erkrankungen können die peripheren Nerven (periphere Polyneuropathie), die Seiten- und Hinterstränge* im Rückenmark (kombinierte Strangerkrankung*), das autonome Nervensystem (autonome Neuropathie) und das Gehirn (Demyelinisierung und axonale Degeneration der weißen Substanz, gestörte Neurotransmittersynthese) betreffen. Interessanterweise korreliert der Schweregrad der megaloblastischen Anämie umgekehrt mit dem Schweregrad der neurologischen Funktionsstörung. Weshalb manche Menschen anfälliger für eine megaloblastische Anämie sind und andere für neurologische Anomalien, ist unbekannt.(1) Etwa ein Drittel der Menschen mit perniziöser Anämie* entwickelt neurologische Auffälligkeiten, während von den Betroffenen mit neurologischen Auffälligkeiten 28 % ein völlig normales Blutbild haben.(1) Ein Überblick über Symptome und Erkrankungen, die auf einen Vitamin-B12-Mangel hinweisen können:(1,2,8,18-27)
Megaloblastische Anämie und Vorstadien:
Demyelinisierende Erkrankung und Vorstadien:
Gehirn (Demyelinisierung und axonale Degeneration der weißen Substanz, gestörte Synthese von Neurotransmittern, Hirnatrophie)
Rückenmark (Myelopathie, subakute kombinierte Strangerkrankung)
Autonomes Nervensystem (autonome Neuropathie)
Peripheres Nervensystem (demyelinisierende periphere (Poly-)Neuropathie)
Sinneswahrnehmungen
Magen-Darm-Trakt
Sonstiges
Bei Säuglingen und Kindern
Ein nicht optimaler Vitamin-B12-Status trägt wahrscheinlich zur Entstehung von Osteoporose, Brustkrebs, Gebärmutterhalskrebs, AIDS (Progression), altersbedingtem kognitivem Abbau und neurodegenerativen Erkrankungen bei.(1,2,24,28,29,30,31) In einer klinischen Studie wurde bei einer Gruppe älterer Männer (im Durchschnitt 75 Jahre alt) festgestellt, dass ein niedriger Vitamin-B12-Status mit einem deutlich höheren Risiko für Knochenbrüche, insbesondere im Bereich der Lendenwirbelsäule, einhergeht.(86) Vermutet wird auch, dass Kinder von Müttern, die während der Schwangerschaft und Stillzeit einen niedrigen Vitamin-B12-Status (und einen normalen Folatstatus) haben, später eher zu Übergewicht, metabolischem Syndrom und Typ-2-Diabetes neigen (fetale Programmierung).(13,32)
Eine megaloblastische Anämie ist reversibel, während neurologische Schädigungen nach einiger Zeit irreversibel sind. Bei 75-90 % der Menschen, bei denen ein klinischer Vitamin-B12-Mangel diagnostiziert wurde, treten neurologische Beschwerden auf.(6) Die häufigsten neurologischen Symptome sind symmetrische Parästhesien, Muskelschwäche und Schwierigkeiten beim Gehen; bei der Untersuchung sind der Verlust von Propriozeption und Vibrationsempfinden in den Zehen oder Knöcheln häufige Anzeichen.(1) Bei unerklärlicher chronischer Müdigkeit, Schmerzsymptomen, neurologischen, kognitiven und psychischen Beschwerden, Symptomen einer Anämie und Erkrankungen, die mit der Malabsorption von Vitamin B12 in Verbindung gebracht werden können, ist es wichtig, auf einen Vitamin-B12-Mangel zu prüfen.
* Siehe Erläuterung der Begriffe
Bisher gibt es noch keinen Goldstandard für die Diagnose eines funktionellen Vitamin-B12-Mangels (ein Defizit an Vitamin B12 auf Ebene des Gewebes, wodurch Vitamin-B12-abhängige Prozesse nicht mehr ablaufen können).(2) Die Vitamin-B12-Werte im Serum sind unzuverlässig, da bis zu 50 % der Messergebnisse falsch-positiv oder falsch-negativ sind (Referenzwerte 150-500 pmol/l).(1,2) Zusätzliche Informationen liefert der Aktiv-B12-Spiegel (Holo-TC); er kann bei Vitamin-B12-Mangel (< 32 pmol/l) reduziert sein, während der Gesamt-Vitamin-B12-Spiegel im Serum innerhalb der Referenzwerte liegt (der Aktiv-B12-Test ist bei chronischen Nierenerkrankungen ungeeignet).
Zusätzliche Bestimmungen von Methylmalonsäure (MMA) und Gesamt-Homocystein (tHcy) im Serum, insbesondere bei Serum-Vitamin-B12-Spiegeln < 350 pmol/l, leisten einen wesentlichen Beitrag zur Identifizierung eines funktionellen (intrazellulären) Vitamin-B12-Mangels.(1,3) Bei klinischem Vitamin-B12-Mangel (mit gesundheitlichen Beschwerden und einer deutlichen Reaktion auf eine Vitamin-B12-Supplementierung) sind die Werte von MMA und tHcy in 95-98 % der Fälle erhöht.(1,2) Bei Vorhandensein von Symptomen bedeutet dies, dass die Messung von MMA und tHcy in den meisten Fällen klärt, ob (auch) ein Vitamin-B12-Mangel vorliegt. Im Moment ist der MMA-Spiegel der eindeutigste Biomarker für den (funktionellen) Vitamin-B12-Status. Zu beachten ist aber, dass der MMA-Wert bei einem B12-Mangel normal sein kann, wenn jemand Antibiotika einnimmt (falsch-negatives Ergebnis), und bei einem normalen Vitamin-B12-Status aufgrund von Niereninsuffizienz oder Dehydrierung erhöht sein kann (falsch-positives Ergebnis).(2,3) Normalerweise liegt der MMA-Spiegel im Serum bei < 0,35 μmol/l (oder besser noch bei < 0,21 μmol/l). Bei Nierenversagen liegt der MMA-Spiegel bei 0,3 bis 0,7 μmol/l. Bei megaloblastischer Anämie oder demyelinisierenden Erkrankungen aufgrund von B12-Mangel ist der MMA-Spiegel in der Regel höher als 0,5 μmol/l und in 86 % der Fälle höher als 1 μmol/l.(1,6,12)
Der Homocysteinspiegel (Normalwerte 5-15 μmol/l) ist weniger spezifisch und kann auch bei familiärer Hyperhomocysteinämie, Folsäure- oder Vitamin-B6-Mangel, Rauchen, Hypothyreose, Levodopa-Einnahme und Niereninsuffizienz erhöht sein.(1,5) Erhöhte Homocysteinwerte aufgrund eines Vitamin-B12-Mangels werden durch eine Folsäure-Supplementierung nicht korrigiert. Die Messung von MMA und tHcy ist nur dann sinnvoll, wenn noch nicht mit einer Vitamin-B12-Supplementierung begonnen wurde, es sei denn, man möchte die Wirkung der Vitamin-B12-Supplementierung auf den Vitamin-B12-Status beobachten.
Bei der megaloblastischen (hypoproliferativen) Anämie liegt eine ineffektive Erythropoese vor, bei der die DNA-Synthese gestört und die RNA-Synthese normal ist. Die Reifung des Zellkerns bleibt hinter der Reifung des Zytoplasmas zurück, was zu weniger Zellteilungen und der Bildung von typischerweise großen (megaloblastischen) roten Blutkörperchen führt, die fragiler sind und schneller zerfallen als normale rote Blutkörperchen.(1) Alle Blutzellen können diese fehlerhafte Kernreifung aufweisen, ebenso wie Zellen in der Darmschleimhaut und in den Knochen. Sowohl ein Mangel an Vitamin B12 als auch an Folat kann eine megaloblastische Anämie verursachen; beide sind für die DNA-Synthese und -Methylierung erforderlich. Allerdings führt nur ein Vitamin-B12-Mangel zu einer demyelinisierenden Erkrankung. Vitamin B12 sorgt für die Wiederverwertung von Folat, und ein Mangel an Vitamin B12 führt selbst bei ausreichender Folatzufuhr zu einer Verschlechterung des Folatstatus (sekundärer Folatmangel). Wenn eine megaloblastische Anämie aufgrund eines Vitamin-B12-Mangels fälschlicherweise mit Folsäure behandelt wird, wird die Anämie weitgehend verschwinden. Der Vitamin-B12-Mangel wird dadurch verdeckt und dies kann gravierende Folgen für die (neurokognitive) Gesundheit haben.
Bei der megaloblastischen Anämie können im Blut die folgenden Anomalien auftreten: makrozytäre rote Blutkörperchen (Makrozytose*), Makroovalozyten*, makrozytäre Anämie; Anisozytose*, fragmentierte Formen; hypersegmentierte Granulozyten (1 % mit 6 Ausstülpungen oder 5 % mit 5 Ausstülpungen); Leukopenie (Granulozytopenie), möglicherweise unreife weiße Blutkörperchen; Thrombozytopenie; Panzytopenie; erhöhte Werte von Laktatdehydrogenase*, indirektem Bilirubin* und Aspartat-Aminotransferase*; verringerte Werte von Haptoglobin*.(1)
* Siehe Erläuterung der Begriffe
Die Malabsorption (von Vitamin B12 aus der Nahrung und von Vitamin B12, das über den enterohepatischen Kreislauf resorbiert wird) ist in mehr als 60 % der Fälle die Ursache für einen Vitamin-B12-Mangel.(1,7,20) Ursachen für eine schlechte Aufnahme (und Rückresorption) von Vitamin B12 können sein:
In etwa 20 % der Fälle ist ein Vitamin-B12-Mangel die Folge einer Vitamin-B12-armen Ernährung (Vegetarismus, Veganismus, chronischer Alkoholismus, ältere Menschen, Säuglinge von Müttern mit niedrigem Vitamin-B12-Status).(1,3,7) In einer deutschen Studie mit Erwachsenen mittleren Alters waren die MMA-Werte bei 5 % der Personen, die wenig Fleisch aßen, bei 32 % der Vegetarier (weder Fleisch noch Fisch) und bei 43 % der Veganer (kein Fleisch, kein Fisch, keine Eier und Milchprodukte) erhöht.(5) Bei einer Vitamin-B12-armen Ernährung und normaler Vitamin-B12-Absorption ist ein Multi mit Vitamin B12 (mit mindestens 20 μg) in der Regel ausreichend, um den Vitamin-B12-Status aufrechtzuerhalten. Wie die MMA-Werte von Säuglingen zeigen, erhalten viele gestillte Kinder (auch die von nicht-vegetarischen Müttern) nicht genügend Vitamin B12. Während der Schwangerschaft und Stillzeit ist es daher ratsam, zusätzliches Vitamin B12 einzunehmen (schätzungsweise mindestens 100 μg/Tag bei normaler Vitamin-B12-Absorption).(35)
Bei Personen mit Typ-1- und Typ-2-Diabetes ist ein biochemischer und klinischer Vitamin-B12-Mangel weit verbreitet.(12,36,37,38) Ein biochemischer Vitamin-B12-Mangel zeigt sich durch einen erhöhten MMA-Spiegel, während der Serum-Vitamin-B12-Spiegel oft normal oder sogar hochnormal ist.(2,12,38) Bei Personen mit Typ-1-Diabetes ist die Autoimmungastritis 3- bis 5-mal häufiger als in der Allgemeinbevölkerung. Darüber hinaus sind auch Autoimmunhypothyreose und Zöliakie, die sich ebenfalls negativ auf den Vitamin-B12-Status auswirken, bei Personen mit Typ-1-Diabetes häufiger anzutreffen.(12) Bei Personen mit Typ-2-Diabetes trägt die Einnahme von Metformin zur Entwicklung eines Vitamin-B12-Mangels bei. Das Risiko eines B12-Mangels ist mit zunehmendem Alter und höherer Dosis (≥ 2 g/Tag) sowie längerer (≥ 3-4 Jahre) Einnahme von Metformin höher.(12,36,37) Die Langzeiteinnahme von Metformin führt bei 30 % der Patienten zu einem Vitamin-B12-Mangel.(37,39) Die Tatsache, dass ein funktioneller Vitamin-B12-Mangel bei Diabetikern (und älteren Menschen) häufiger auftritt, lässt sich möglicherweise auch durch erhöhten oxidativen Stress erklären.(38)
Es ist wichtig zu wissen, dass die autonome und periphere Neuropathie* (bzw. deren Verschlimmerung) bei Diabetikern zum Teil auf einen (funktionellen) Vitamin-B12-Mangel zurückzuführen sein kann. Eine Supplementierung mit einer hohen Dosis Vitamin B12 (in Kombination mit einem B-Komplex) kann in solchen Fällen zur Linderung der Symptome beitragen.(12,40,41,42,43) In einer Studie an Diabetikern wurde ein funktioneller Vitamin-B12-Mangel wie folgt definiert: ein MMA-Spiegel über 0,25 μmol/l bei einem Vitamin-B12-Serumspiegel über 400 pg/ml.(38) Im Vergleich zu Nicht-Diabetikern hatten Diabetiker im Durchschnitt höhere MMA-Werte. Außerdem trug das Alter zu höheren MMA-Werten bei: Diabetiker über 70 Jahre hatten im Durchschnitt um 51 % höhere MMA-Werte als Diabetiker unter 70 Jahren (bei Nicht-Diabetikern betrug dieser Unterschied 26 %). Von den Diabetikern mit erhöhten MMA-Werten litten 62 % an Neuropathie, während dies bei Diabetikern mit normalen MMA-Werten nur bei 18 % der Fall war. Eine hochdosierte Vitamin-B12-Supplementierung (2000 μg/Tag für 1-3 Monate) senkte signifikant die MMA-Werte bei 88 % der Diabetiker mit erhöhten MMA-Werten und verringerte neuropathische Symptome bei 86 % der Diabetiker mit neuropathischen Symptomen (und erhöhten MMA-Werten).(38) In einer anderen Studie führte eine orale Supplementierung mit Methylcobalamin (1500 μg/Tag über einen Zeitraum von 24 Wochen) ebenfalls zu einer signifikanten Verbesserung der diabetischen Polyneuropathie.(44)
Die Blutspiegel von MMA und Homocystein sagen nicht immer voraus, ob eine Person von einer Vitamin-B12-Ergänzung profitieren wird.(2) Es gibt deutliche Hinweise darauf, dass eine Supplementierung mit hohen Dosen Vitamin B12 mehrere (neurologische) Erkrankungen (Multiple Sklerose, Morbus Alzheimer, amyotrophe Lateralsklerose, Morbus Parkinson, AIDS-assoziierte Myelopathie, Karpaltunnelsyndrom) beeinflusst, bei denen die Blutspiegel von MMA und Homocystein normal sind.(45,2,46-52) Hier kann ein 'lokaler' Vitamin-B12-Mangel oder ein erhöhter lokaler Vitamin-B12-Bedarf vorliegen. Eine andere Möglichkeit ist, dass Vitamin B12 in hohen Dosen supraphysiologische (pharmakologische) Wirkungen hat.(2)
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass eine Supplementierung mit Vitamin B12 in Situationen erwogen werden kann, in denen das Risiko eines Vitamin-B12-Mangels erhöht ist (oben genannte Magen-Darm-Erkrankungen, Medikamenteneinnahme, Ernährungsgewohnheiten), bei Vorliegen von Symptomen und Erkrankungen, die aus einem erniedrigten Vitamin-B12-Status resultieren oder durch diesen verschlimmert werden können wie Müdigkeit und Denk-, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen (siehe Symptome eines Vitamin-B12-Mangels), bei Diabetes mellitus und bei bestimmten neurologischen Erkrankungen.
Weitere Anwendungsgebiete von Vitamin B12:
* Siehe Erläuterung der Begriffe
Vitamin B12 ist ein sehr sicheres Ergänzungsmittel (auch während der Schwangerschaft und Stillzeit), und es hat selbst in hohen Dosierungen keine Nebenwirkungen. Eine tolerierbare Höchstaufnahmemenge wurde daher nicht festgelegt. Ein hoher Vitamin-B12-Plasmaspiegel deutet eher auf das Vorliegen einer Krankheit hin als auf eine Hypervitaminose B12.(2)
Anisozytose: variables Volumen (Größe) der roten Blutkörperchen
Aspartat-Aminotransferase (ASAT oder SGOT): ein Enzym, das vor allem in der Leber, im Herzen und in den Skelettmuskeln vorkommt.
Ataxie: Koordinationsstörungen aufgrund einer Störung der willkürlich steuerbaren Motorik, die sich in einem unsicheren Gangbild (Trunkenheitsbild, erhöhte Fallneigung), Schwierigkeiten beim Sprechen, Danebengreifen, zitternden Händen äußern kann.
Genom: die Gesamtheit der Erbinformationen (DNA) in einer Zelle.
Haptocorrine: anderer Name für Transcobalamin I, eines der Transportproteine, die Vitamin B12 in die Blutbahn transportieren. Das an Haptocorrin gebundene B12 ist jedoch im Gegensatz zum an Transcobalamin II gebundenen B12 nicht biologisch aktiv. Haptocorrine (auch R-Binder-Proteine genannt) kommen außerdem im Magen vor und binden dort an B12, um es vor der Magensäure zu schützen.
Haptoglobin: ein Protein, das in der Leber gebildet wird und am Abbau der roten Blutkörperchen beteiligt ist.
Indirektes Bilirubin: Bilirubin ist das Endprodukt nach dem Abbau von Hämoglobin. Der Begriff indirektes Bilirubin bezieht sich auf das vorhandene unkonjugierte Bilirubin, also das Bilirubin, das in der Leber noch nicht mit Glucuronsäure konjugiert (verbunden) wurde.
Kombinierte Strangerkrankung: Erkrankung der Seiten- und Hinterstränge des Rückenmarks, manchmal auch mit Beteiligung peripherer Nerven, des Sehnervs und des Gehirns.
Laktatdehydrogenase (LDH): ein Enzym in verschiedenen Körpergeweben und -zellen wie z. B. in roten Blutkörperchen, Herz, Leber, Nieren, Muskeln, Gehirn und Lunge. LDH ist an der Energieproduktion beteiligt.
Lhermitte-Zeichen: beim Beugen des Halses entsteht ein starker, stechender Schmerz vom Hals bis zu den Füßen.
Makroovalozyten: große, ovale rote Blutkörperchen.
Makrozytose: übergroße rote Blutkörperchen.
Mikronucleus-Test: ein Test zur Messung von DNA-Schäden (Mikronuclei sind Chromosomenfragmente im Zytoplasma).
Myoklonus: eine kurze, unwillkürliche Kontraktion eines Muskels oder einer Gruppe von Muskeln.
Neuritis optica: Entzündung des Sehnervs (Nervus optica).
Nukleinsäuren: Aneinanderreihungen von Nukleotiden (Bausteine der DNA und RNA), wobei die Reihenfolge der Nukleotide die genetische Information bestimmt. DNA (Desoxyribonukleinsäure) und RNA (Ribonukleinsäure) sind Nukleinsäuren.
Oligozoospermie: verminderte Anzahl von Spermien in der Samenflüssigkeit (< 20 Millionen/ml Ejakulat).
Optikusatrophie: Degeneration des Sehnervs.
Parästhesien: Empfindungsstörungen, bei denen ein taubes, juckendes, kitzelndes, prickelndes, kribbelndes („Ameisenlaufen“), brennendes und/oder schmerzendes Gefühl auftreten kann; sie sind bei Vitamin-B12-Mangel immer symmetrisch (beidseitig) und vor allem in Füßen, Beinen und Händen vorhanden.
PEGyliert: an Polyethylenglykol gebunden.
Periphere Neuropathie: eine symmetrische Störung der peripheren Nerven, die durch sensorische und/oder motorische Anomalien gekennzeichnet ist, welche im Allgemeinen distal stärker ausgeprägt sind als proximal und an den Beinen stärker als an den Armen. Bei einer Polyneuropathie sind mehrere Nerven betroffen.
Perniziöse Anämie: schwere Form der Anämie aufgrund einer gestörten Vitamin-B12-Aufnahme durch einen Mangel an Intrinsic Factor.
Posturale/orthostatische Hypotonie: schneller Blutdruckabfall beim Wechsel in die aufrechte Körperhaltung (Abfall des systolischen Blutdrucks um 20 mm Hg und/oder des diastolischen Blutdrucks um 10 mm Hg).
Romberg-Test: Gleichgewichtstest zur Feststellung einer möglichen Störung des Lage- und Bewegungssinns, bei dem eine Person 2 mal 30 Sekunden lang mit geschlossenen Füßen stehen bleiben soll, wobei die Augen geöffnet bzw. geschlossen sind.
Seiten- und Hinterstränge: austretende Nervenbündel aus dem Rückenmark.
Stomatitis: Entzündung der Mundschleimhaut.
Succinyl-CoA: ein wichtiges Zwischenprodukt im intrazellulären Zitronensäurezyklus (Krebs-Zyklus), bei dem energiereiche Stoffwechselprodukte (wie ATP) beim Abbau von Proteinen, Kohlenhydraten und Fetten gebildet werden.